In the Darkness let me see
Kunsthalle.Ost, Leipzig, Germany
17.03 - 04.04.2023
Photos: © Gustav Franz
Text: Sophia Pietryga
Wenn wir an die untergegangenen Kulturen Südamerikas denken, dann kommen uns Inka, Maya und vielleicht noch die Azteken in den Sinn, mit Bildern, die häufig von der westlichen Popkultur geprägt sind: Donald Duck findet auf einer Expedition einen Maya-Schatz, das Bild der Inka wurde von Karl May geprägt und Mel Gibson bedient sich in „Apocalypto“ der aztekischen Geschichte. Expert:innen gehen allerdings davon aus, dass es über 3000 Kulturen gab, die über mehr als 3500 Jahre hinweg Südamerika bevölkerten und deren Artefakte und Kulturgüter heute häufig in europäischen und US-amerikanischen Museen zu finden sind. Aber nicht nur dort: Auch in Auktionshäusern wird rege mit ihnen gehandelt – häufig ohne saubere Provenienz, sodass die wirkliche Herkunft verschleiert wird.
Wilhelm Frederking adaptiert in seiner Malerei die Art, wie diese historischen Artefakte für Museen und vor allem für Auktionshäuser fotografiert werden. Vor weißem oder grauem Hintergrund, mit leichten Farbabstufungen und sanften Kontrasten, werden die oft nur wenige Zentimeter großen Objekte in den Katalogen um ein Vielfaches vergrößert. In der Vergrößerung wird die steinerne oder keramische, raue Struktur sichtbar, ebenso die Ablagerungen von Sand und Salzen. Frederking übersteigert diese Vergrößerung extrem und nimmt die Strukturen der Artefakte auf, sodass seine steinernen Stücke realistisch wirken, durch ihre übersteigerte Größe aber auch wie erschlagend monumentale Skulpturen. Die von ihm gemalten Objekte sind jedoch keine Kopien, sondern von ihnen inspiriert: Er ahmt nicht nur die Textur der Stücke nach, sondern wird auch von der Formenwelt, wie linienförmigen Einkerbungen und Voluten sowie Gesichtern und Figuren, die an abstrakte Tierdarstellungen erinnern, inspiriert. Durch die Reminiszenz an die häufig über 1000 Jahre alten Stücke beleuchtet Frederking sowohl unseren europäischen bzw. westlichen Blick auf Werke, die bis heute von vielen nicht als gleichwertige Kunstwerke anerkannt werden, als auch durch die entkontextualisierte Präsentation der Stücke für Auktionshäuser, deren Herkunft und Legitimation als Handelsware, auch durch ihre unklaren Zuschreibungen. Gleichzeitig zeigt er durch die Weiterführung der Bildsprache, wie universell diese über die Jahrtausende und Kulturkreise hinweg ist: „The Shout“ beispielsweise, eine großformatige Malerei, die fast bildfüllend ein totemartiges Objekt vor besagtem grau-weißen Hintergrund zeigt. Nicht nur der Titel, sondern auch ein Detail des Objektes, in dem sich zwei Augen und einen weit aufgerissenen Mund deuten lassen, erinnert an Edvard Munchs „Der Schrei“, eine kleine Volute seitlich des vermeintlichen Gesichts ist sogar als Hand zu erkennen. Die ursprüngliche Symbolik, die in Munchs Portrait enthalten ist, die der norwegischen Schriftsteller Atle Næss als „deformierende Kraft der Angst“ bezeichnet, ist so universell gültig, dass es auf Warnschildern von Atommülllagern verwendet wird, weil Forscher:innen davon ausgehen, dass die Bildsprache auch in Jahrtausenden noch universell verständlich sein wird.
Einige der historischen Artefakte, die Wilhelm Frederking als Ursprung seiner Arbeiten zitiert, weisen Reste farbiger Fassungen auf. Indem er die Farbigkeit der Stücke in seine Malerei überträgt, nähern sich seine Objekte nicht nur den ursprünglichen Stücken, sondern stellen wiederum unsere Sicht auf historische und archäologische Plastik infrage. Dass griechisch-antike Marmorskulpturen in unserer Vorstellung weiß sind entspricht beispielsweise nicht der historischen Realität, sondern Bewertungen wie der von Johann Joachim Winckelmann, der das Bemalen als „barbarische Sitte“ bezeichnete. Die Seherfahrung spielt uns einen Streich, wenn wir Buntes als weniger schön empfinden und Frederkings Polychromie zeigt, wie falsch wir damit liegen.
In seiner Installation für die Ausstellung „In the Darkness let me see“ zeigt Wilhelm Frederking zwei großformatige Leinwände, die jeweils ein Artefakt portraitieren. Die entkontextualisierte Darstellungsweise, die er dabei zitiert, wird durch die Präsentation im Raum vermeintlich aufgehoben: Er platziert sie in Kästen, die im Raum stehen und sich wie überdimensionale Rahmen um die Bilder schmiegen. Die Kästen sind mit einer Folie bespannt, die mit Fotos von Pflanzen bedruckt ist. Auf den ersten Blick könnte man also meinen, dass die Stücke dadurch wieder näher an ihren Ursprung und damit in einen Kontext gerückt werden. Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass kein Urwaldlaub abgebildet ist, sondern Buchsbaum und dass die Folie nicht für das Vortäuschen eines Dschungels bestimmt ist, sondern als Zaunbespannung für Deutsche Vorgärten. Frederkings Spiel mit den Referenzen führt in die Irre, aber auch wieder aus ihr hinaus, und durchkreuzt dabei unsere Annahmen und Sehgewohnheiten.